Faszination Äthiopien: Wukro Chirkos und Abuna Yemata – Die Kirchen der Region Tigray
Nachdem wir eine Woche in der äthiopischen Hauptstadt verbracht und die Sehenswürdigkeiten von Addis Abeba erkundet haben, wollen wir uns nun auf in den Norden machen. Denn hier findet man die meisten Highlights des Landes. Unsere erste Anlaufstelle ist Mekele, die Hauptstadt der Region Tigray, die wir nach einer quälend langen, miefigen Busfahrt von 14 Stunden erreichen. Die über 1000 km lange Strecke führt uns durch Teile des afrikanischen Grabenbruchs – eine karge Einöde, in der gelegentlich ein paar sehr spärliche Behausungen stehen. Kopfschüttelnd beobachte ich die vorbeiziehende, triste Landschaft und muss mich immer wieder fragen, wie man hier leben kann. Schaf- und Ziegenherde sowie Lasttiere wie Esel und Dromedare geben einen Hinweis darauf, dass es sich um Nomaden handeln könnte.
Nach der ersten Nacht in Mekele in der Lulieya Pension lernen wir in einem Café zufällig Mulu kennen, Mitarbeiter eines Travel Agency. Wir tauschen uns mit ihm über die Kirchen der Region Tigray aus und beschließen, dass wir zwei der Kirchen besuchen wollen: die spektakulär gelegene Abuna Yemata Kirche und die Abraha We Atsbeha, die architektonisch gesehen eine der schönsten von Tigray sein soll. Doch laut Travel Agency sei die Straße zu Letzterer derzeit nicht passierbar und sie empfehlen uns stattdessen die Wukro Chirkos Kirche. Also organisieren wir für den kommenden Tag einen Fahrer, der uns zu den beiden Kirchen bringen und am Abend schließlich in Aksum absetzen soll, wo wir unser nächstes Lager aufschlagen wollen.
Erster Stopp: Die Wukro Chirkos Kirche
Von Mekele starten wir um 7 Uhr morgens mit unserem Fahrer weiter Richtung Norden. Nach etwa zwei Stunden erreichen wir den Ort Wukro, an dessen nördlichem Rand die orthodoxe Kirche Wukro Chirkos steht. Sie befindet sich nur unweit der Hauptstraße und ist deshalb sehr leicht zugänglich. Als wir Richtung Kirche abbiegen, hüpft ein junger Äthiopier zu uns ins Auto, stellt sich vor und präsentiert stolz seinen Ausweis – scheinbar unser Guide. Diesen haben wir erstens nicht bestellt und zweitens haben wir schon jetzt große Schwierigkeiten, ihn zu verstehen, denn sein Englisch ist – milde ausgedrückt – bröckelig. Aber haben wir eine andere Möglichkeit, als seine Dienste zu akzeptieren? Alle Erklärungsversuche auf Englisch würden scheitern und den jungen Mann einfach wieder wegzuschicken, wäre unhöflich. Also einmal tief durchatmen und weiter. Haben wir das Eingangstor passiert, sind es nur noch wenige Minuten zu Fuß, bis man vor der Kirche steht.
Die Kirche ist verschlossen. Unser Guide verschwindet kurz und kommt wenig später mit dem Herr der Schlüssel zurück: einem Mönchen, der angeblich schon 100 Jahre auf dem Buckel hat. Er öffnet uns die Tür und nachdem wir Schuhe und Socken ausgezogen haben, dürfen wir eintreten.
Im Inneren ist nicht viel Platz und trotzdem erkennt man eine Unterteilung des Gebetsraums in drei Bereiche: rechts für die Männer, links für die Frauen und die Mitte für die Priester. Einen Altar suchen wir, wie auch schon in der St. George Kirche in Addis Abeba, wieder vergeblich. An den Wänden und an der Decke sind Überreste von rötlichen Malereien zu erkennen. In den Felsen sind die drei verschiedenen christlichen Kreuzformen des Landes gehauen: Aksum-Kreuz, Lalibela-Kreuz und Gonder-Kreuz. Die Kirche stammt aus dem 4. Jahrhundert und wurde während der Regierungszeit des König- und Brüderpaares Abreha und Asbeha errichtet – so viel können wir von unserem Guide verstehen. Wie genau die Kirche in oder aus dem Felsen gehauen wurde, wird uns leider nicht ganz klar. Nachdem wir die Kirche verlassen haben, folgt der Mönch seiner Pflicht und verschließt das Gotteshaus sofort wieder. Wir umrunden die Kirche nun einmal und stoßen dabei auf eine Gruppe Männer gemischten Alters, die im Schatten unter einem Baum sitzen, die Bibel in den Händen halten und orientalisch klingende Gebetsgesänge von sich geben. Es handelt sich um die Regionssprache Tigrinya, die für unsere Ohren dem Arabischen sehr ähnelt. Ein paar Schritte weiter blicken wir auf Gräber von Heiligen und Priestern.
Von Wukro aus setzen wir unsere Fahrt fort. Die Landschaft wird allmählich etwas grüner, da sich zwischen das Rötlich-Braun des Bodens und der Berge einige Riesenkakteen und Sträucher mischen. Wir durchqueren ein paar Ortschaften. In einem der Dörfer (ich glaube, es hieß Megab) herrscht besonders geschäftiges Treiben. Von Nah und Fern pilgern die Menschen heute zum Markt, um einzukaufen oder um ihre eigenen Waren ihr oder Vieh anzubieten.
Bald darauf erhebt sich der einer der rötlichen, massiven Sandsteinberge vor uns. Sofort fühlen wir uns beide an den Westen der USA erinnert. Roadtrip auf der Route 66 oder doch Äthiopien? Die Antwort findet sich nur in den traditionell gekleideten Menschen, die mit ihren Eseln die Straße entlangziehen.
Auf zur Abuna Yemata Guh Kirche
Etwa vier Kilometer westlich von Megab weist ein Schild an der Hauptstraße auf die monolithische Abuna Yemata Kirche hin. Wir verlassen den Asphalt und begeben uns wie so oft auf eine Schotterpiste. Vor uns ragen turmähnliche Felsen in die Luft und so langsam realisiere ich, was uns da blüht. Denn in einem dieser Felstürme befindet sich die Kirche – auf 2580 Meter, um genau zu sein.
Nach etwa 10 Minuten Schotterweg kommt unser Auto unter einem Baum zu stehen. Ab hier geht es also zu Fuß weiter. Als wir aussteigen, bekommen wir sofort die gnadenlose Sonne zu spüren. Wir bereiten unsere Rucksäcke mit Kamera und jeder Menge Wasser vor, lassen das Auto mit unserem Fahrer zurück und brechen auf. Neugierige Kinder fragen nach Geld und folgen uns ein Stück.
Etwa 1 – 1,5 Stunden soll der Aufstieg zur Kirche dauern. Am Ende wartet eine Felswand, die es mithilfe eines Kletterseils zu Bezwingen gilt und bevor man in die Kirche eintreten kann, muss man noch ein schmales Felsplateau überwinden – ungesichert vor 250 Metern Abgrund. Das wird spannend!
Wanderung zu Abuna Yemata oder: Der Weg ist das Ziel
Der Beginn der Wanderung ist moderat, denn wir gehen erst noch ein Stück auf dem Fahrweg entlang, bevor das Gelände unliebsamer wird. Bald beginnt der Aufstieg. Schmale Wege mit Geröll und Felsen unter den Füßen sowie die sengende Hitze machen das Gehen beschwerlich, doch mit kurzen Verschnaufpausen im Schatten ist der Teil durchaus machbar. Unser Guide zeigt uns nun auch, wo genau wir hinmüssen. Der Eingang der Kirche, die im Felsen liegt, befindet sich am Beginn der Spalte hier, auf der Rückseite des Turms:
Einer Dame, die auf dem Pfad sitzt, bezahlen wir das Eintrittsgeld für die Abuna Yemata Kirche (150 Birr p.P.). Ab hier beginnt der schwierigere Teil der Wanderung. Die Aussicht und der weite Blick über das Land sind grandios.
Nicht mehr lange und wir stehen vor der Felswand. Hier heißt es wieder: Schuhe und Socken ausziehen und zurücklassen. Macht Sinn, denn einerseits hat man barfuß beim Klettern mehr Halt und andererseits wissen wir ja mittlerweile, dass man ohnehin ohne Schuhe in die Kirche geht. Ein einheimischer Guide macht es vor und klettert die Wand nach oben – ohne Sicherung, versteht sich.
Wir gehen doch lieber auf Nummer sicher und dürfen für weitere 150 Birr p.P. Gebrauch des Seils und Gürtels machen. Markus beginnt und bekommt von den Helfern dort die Halterung angelegt – mehr oder weniger fachmännisch. Ich erkenne, dass die Schlaufen um die Beine alles andere als perfekt sitzen, halte mich aber zurück, um niemanden nervös zu machen 🙂 Die Helfer unterstützen ihn auch beim Klettern, indem sie geeignete Einkerbungen in der Wand zeigen, in die man seine Hände und Füße platzieren kann.
Dafür, dass es Markus‘ erste Klettererfahrung ist, schlägt er sich gut und erreicht wohlbehalten das Felsplateau, das für mich noch nicht sichtbar ist. Als nächstes begebe ich mich in die Halterung und darf ran an die Wand. Unser Guide erklärt sich bereit, Fotos zu machen. Als Jugendliche war ich aus Spaß an der Freude ein paar Mal in einer Indoor-Kletterhalle, doch an der frischen Luft finde ich es noch toller. Mit den Zehen muss man sich richtig in die Einkerbungen der Felsen drücken, um nicht abzurutschen. Man hängt zwar am Seil, aber ob der schmächtige Helfer oben das andere Ende auch rechtzeitig greift und in der Lage ist, mich festzuhalten, will ich nicht unbedingt testen.
Nach ein paar Minuten der Anspannung habe auch ich es geschafft und erreiche das erste Plateau, wo Markus auf mich wartet. Den Gürtel um meine Hüften lege ich hier ab, aber wir haben die Kirche noch nicht erreicht. Ungesichert geht es noch ein Stück weiter und auch jetzt ist wieder voller Körpereinsatz gefragt. Etwa drei bis vier Meter weiter oben erreichen wir ein weiteres Plateau. Vorsichtig balancieren wir über schmale Felsen, die eine Art natürliche Brücke bilden. Ein falscher Schritt wäre angesichts des 250 m tiefen Abgrunds tödlich. Rechts von uns zeigt sich ein kleiner, höhlenartiger Raum. Hier schläft der Priester, erklärt unser Guide. Wir dürfen den Raum betreten. Außer einer dünnen Strohmatte auf dem Boden befindet sich jedoch nichts darin. Der Absatz vor dem Raum eignet sich gut für ein Bild.
Nun geht es wieder über die natürliche Brücke zurück und dann folgt der letzte Part, bis wir den Eingang der Kirche erreichen. Die letzten Schritte erfordern laut Lonely Planet noch einmal „Nerven aus Stahl“. Der Pfad ist vielleicht einen halben Meter breit – rechts eine Felswand, an der man sich abstützen kann, links geht es wieder 250 m in die Tiefe. Auch hier ist die Aussicht wieder überragend. Einer der Helfer geht mit unserem Rucksack vor. Ich störe mich an der Höhe scheinbar weniger als Markus, der sich sehr behutsam bewegt und sich mit der rechten Hand an der Wand entlangtastet. Dann haben wir es geschafft und stehen im Vorraum der Kirche, wo wir kurz warten, bis wir eintreten dürfen.
Die Kirche ist recht klein, was aber neben der Lage ihren besonderen Charme ausmacht, sind die sehr gut erhaltenen, biblischen Malereien an den Wänden und der Decke. Der gute Zustand ist durch die trockene Luft in der Höhe bedingt. Laut unseres Guides stammt die Kirche aus dem 6. Jahrhundert, die Malereien kamen erst im 9. Jahrhundert hinzu. Die Farben wurden aus Pflanzen hergestellt. Dargestellt sind Bilder aus dem Alten Testament. Auch die 12 Apostel und die Stammesväter tauchen immer wieder auf.
Fotos im Inneren sind erlaubt, jedoch kein Blitz – wie mich der junge Diakon sofort ermahnt, der lässig an der Wand lehnt. Der Blitz würde die Farben verblassen lassen. Wir kommen mit ihm ins Gespräch, denn sein Englisch ist besser als das unseres Guides. Der Achtjährige erklärt uns, dass er der Sohn des Priesters ist und jeden Tag den Auf- und Abstieg bewältigt. Markus interessiert sich für die Bibeln, die auf dem Boden liegen. Außer den Mönchen und Priestern darf diese aber niemand anfassen. So gesellt sich der Kleine zu uns und öffnet die Heiligen Schriften für uns. Traditionell wurde auf Ziegenhaut geschrieben, die Buchhüllen bestehen aus dickerer Rinderhaut.
Nach einem Moment der Ruhe verabschieden wir uns und verlassen die Kirche. Der Diakon schließt nach uns ab.
Runter kommt man immer – irgendwie
Vor dem Abstieg habe ich etwas mehr Respekt, da sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass mir Runterklettern schwerer fällt als der Weg nach oben. Schließlich sieht man weniger gut, wo man seine Füße platzieren kann. Wir gehen zurück über den 50 cm breiten Pfad und überqueren die steinerne „Brücke“.
Kurz bevor wir die Stelle erreichen, an der das Klettern beginnen soll, hat sich eine kleine Schlange gebildet. Zwei Besucher aus Alaska kommen irgendwie nicht weiter. Den Grund erfahren wir recht schnell: Das Seil ist nicht mehr da. Ein Guide einer vorherigen Gruppe hat es beim Abstieg scheinbar mit nach unten, zurück ins Tal, genommen. Da stehen wir nun also. „Go without rope?“, fragen uns die einheimischen Helfer, „is no problem!” Da können wir nur herzlich lachen. Gemeinsam mit dem älteren Paar aus Alaska können wir ihnen klar machen, dass das Risiko zu hoch ist und sie irgendwie dafür sorgen sollen, dass das Seil wieder zurück nach oben kommt. Unser Guide opfert sich und macht sich auf den Weg. Währenddessen nehmen Markus und ich sowie der Herr aus Alaska erstmal auf dem schmalen Pfad Platz. Seine Frau können wir gar nicht sehen, diese befindet sich nämlich schon zwei Meter unter uns und kauert nun auf einem noch schmaleren Felsen. Um uns die Zeit zu vertreiben, unterhalten wir uns über das Reisen, indem wir abwechselnd die Wand hoch- und runterrufen. Eine Szene wie aus dem Film. Dann kommt auch noch der achtjährige Diakon zu uns und fragt verwundert, weshalb wir warten. Während ich ihm die klassischen Fragen beantworte „Where from? Rich country? Cold in winter?“, ist einer der Helfer neben mir bereits eingenickt. So sitzen wir bestimmt eine Dreiviertelstunde auf dem Berg und blicken über das äthiopische Land. Von Weitem kann ich bald schon wieder unseren Guide erkennen, der sich mit Seil in der Hand nähert. Man kann ihm keinen Vorwurf machen, er hat sich wirklich beeilt.
Als das Seil angekommen ist, klettern wir vier – einer nach dem anderen – nach unten. Wie vermutet, fällt mir diese Richtung schwerer. Ich kann nicht genau sagen, ob mir die Helfer auf dem Weg nach unten wirklich eine Hilfe sind oder eher das Gegenteil. Der Herr unter mir greift auf einmal nach meinem Fuß, den ich gerade belastet habe, zieht daran und will ihn in eine andere Einkerbung positionieren. Nach einer deutlichen Ermahnung – sie sollen mir doch bitte einfach zeigen, wo ich meinen Fuß hinstellen soll, anstatt an mir zu ziehen – läuft es etwas besser. So dirigiert er mich die letzten Meter „right foot here, left hand here…“ nach unten. Geschafft! Wir sind beide froh, dass wir auf das Seil bestanden haben. Der schwerste Teil ist überstanden und die restliche Wanderung fühlt sich nun fast wie ein gemütlicher Spaziergang an. Als wir zurück zum Auto gekommen, ist es schon fast 15:00 Uhr und die Mägen knurren. Im nächstgelegenen Ort halten wir deshalb für ein verspätetes Mittagessen. Die kleine Hütte hätten wir alleine sicher nie betreten, doch wie so oft ist das Essen an solchen Plätzen sehr lecker. Noch zwei bis drei Stunden müssen wir fahren, bis wir am Abend Aksum erreichen. Hin und wieder passieren wir simple Dörfer, doch die meiste Zeit fahren wir durchs gefühlte Nirgendwo. In der Budget-Unterkunft Africa Hotel ist ein Bett für uns frei und es gibt sogar warmes Wasser. Ein Segen für die strapazierten Muskeln.
Unser Fazit zu den Kirchen der Region Tigray – Wukro Chirkos und Abuna Yemata
Die Wukro Chirkos ist zum Einstieg ganz nett und kann durch die Lage nahe der Hauptstraße von Wukro ohne viel Aufwand besucht werden. Um einiges spektakulärer und sehenswerter ist für uns aber die Abuna Yemata Guh Church. Der Aufstieg ist sicher nicht für jeden machbar, denn ein gewisses Level an Fitness, Trittsicherheit, Schwindelfreiheit und keine Höhenangst sind Grundvoraussetzungen. Wer sich aber wagt, der wird mehr als belohnt – mit einer grandiosen Aussicht, spannendem Nervenkitzel, tollen Felsmalereien und einer ganz besonderen, spirituellen Atmosphäre im Inneren der Felskirche.
enjoy your journey!
Wow, wunderbare Farben in der Kirche und sehr clever den Eintritt zu kassieren bevor es schwieg wird.